Rede von Bürgermeisterin Nadine Bernshausen zum Thema Nahverkehrsplan in der Stadtverordnetenversammlung am 29. September 2023

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin,
liebe Stadtverordnete,
meine Damen und Herren,

es freut mich, dass ich Ihnen heute diesen, ich zitiere einen Stadtverordneten aus dem Bauausschuss, „wunderschönen“ Nahverkehrsplan vorlegen kann, in dem konkrete Vorschläge gemacht werden, den öffentlichen Personennahverkehr in Marburg in den nächsten Jahren deutlich zu verbessern und neue Akzente zu setzen.

Aber lassen Sie mich kurz skizzieren, in welche besondere Zeit dieser Nahverkehrsplan fällt.

Meine Damen und Herren,
mit der übergangsweisen Einführung des 9-Euro-Tickets ist ja ein vor Jahren noch undenkbarer Prozess in Gang gekommen. Wir haben in


diesem bundesweiten spannenden Experiment gezeigt bekommen, welche Möglichkeiten der Nahverkehr bietet. Es hat sich gezeigt, dass der Nahverkehr deutlich besser angenommen wird und deutlich mehr Mobilität ermöglicht, wenn es keine Tarifhürden gibt und natürlich auch der Preis günstig ist. Erfreulicherweise hat diese Erfahrung zu dem 49-Euro-Ticket geführt. Und nun hat das Land Hessen auf Basis des 49-Euro-Tickets das bundesweit vorbildliche 31-Euro-Sozialticket eingeführt. Man muss sich klarmachen, dass damit ein landesweites sozial gestaffeltes Nahverkehrsticket zur Verfügung steht zu einem Preis, den man früher in der Regel für ein lokales Monatsticket zahlen musste.

Für unsere Stadtwerke und für alle Nahverkehrsbetriebe in Deutschland muss man allerdings feststellen, dass das 49-Euro-Ticket und das 31-Euro-Sozialticket sozusagen noch in der Erprobungsphase sind. Zum einen ist es ja bislang quasi ein Experiment zwischen den Ländern und dem Bund
– in zwei Jahren wird über die weitere Finanzierung gesprochen werden mit hoffentlich positivem Ergebnis.
Zum anderen wird auf kommunaler Ebene auszuwerten sein, wenn sich das Ticket richtig etabliert hat, was diese Tickets vor Ort wirklich bewirken.

Hier gibt es viele Fragestellungen:
Gibt es zum Beispiel den Umstieg vom Auto auf den Nahverkehr? Gibt es vielleicht auch messbar den Umstieg vom Fahrrad auf den Nahverkehr? Was bedeuten Fahrgastveränderungen vor Ort für unsere Angebote? Z.B. die Frage, ob unsere Kapazitäten ausreichen. In Marburg sind die Auswirkungen des neuen Tickets möglicherweise nicht ganz so bedeutend wie in anderen Städten, weil die Studierenden ja bereits seit vielen Jahren über das Semesterticket ein eigenes Ticket finanziert haben, mit dem sie schon bislang fahrscheinlos fahren konnten. Und außerdem haben wir in großem Umfang Jobtickets bei den städtischen Bediensteten und den Landesbediensteten. Und viele Unternehmen und freie Träger haben sich ebenfalls für das Jobticket für ihre Mitarbeiter entschieden.

Von all diesen Aspekten mal abgesehen:
Das 49-Euro-Ticket ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einem einfacheren, besseren ÖPNV und ein großer Fortschritt, nachdem es in den 90er Jahren gelungen war, mit dem RMV ein großes einheitliches Tarifgebiet zu schaffen.
Das allgemeine Mobilitätsbedürfnis steigt nach allen Untersuchungen nach wie vor, so dass hier der ÖPNV gerade mit diesem einfachen, preiswerten Ticket für viele Menschen eine gute Option sein kann, die eigene Mobilität zu gestalten.

In Anbetracht der nach wie vor immens hohen Investitionen in Straßenneubauten wäre es ein wichtiger Schritt des Bundes, das mit dem 9- und 49-Euro-Ticket gewonnene Interesse und die Begeisterung vieler Menschen für den ÖPNV zu nutzen, um die ÖPNV-Strukturen auszubauen und den Ländern und Kommunen zu helfen, die öffentlichen Angebote zu verbessern.

Meine Damen und Herren,
Marburg hat sowohl städtisch geprägte Quartiere als auch sehr ländliche Stadtteile und dünner besiedelte Einzugsbereiche.
Die bisherigen Erfahrungen mit dem 9-Euro-Ticket und dem 49-Euro-Ticket haben auch gezeigt, dass diese Tickets vor allem tolle Angebote für die Menschen in urbanen Bereichen mit einer vorhandenen guten Nahverkehrsinfrastruktur sind und waren.
Sie sind eben vor allem gute Angebote vor allem für diejenigen, die bereits prinzipiell eine eher gute Anbindung haben.
Für Menschen hingegen ohne fußläufig bequem erreichbaren Nahverkehr oder ohne gute Taktung der Angebote ist diese erfreuliche Entwicklung bislang wenig relevant.

Meine Damen und Herren,
jenseits aller polarisierenden Diskussionen, die es bei den Fragen um die Zukunft der Mobilität in Marburg gegeben hat, die es gerade gibt und die es auch in Zukunft geben wird, ist parteiübergreifend unstrittig, dass wir mit dem lokalen Nahverkehr große Chancen und einen Baustein haben, Verkehr und Mobilität gut zu gestalten. Und diese Chancen sollten wir in den nächsten Jahren nutzen, um den Menschen ein verbessertes Angebot zu machen, den Nahverkehr zu nutzen.

Der vorliegende Plan stellt ja viele Möglichkeiten vor, wie wir die Verbesserung der Angebote in den nächsten 5 Jahren gestalten können.
Bei der Erarbeitung haben sich zahlreiche Akteure eingebracht und mitgedacht, unter anderem unsere Ortsbeiräte, herzlichen Dank dafür.

Allerdings sind wir momentan nicht nur in Marburg, sondern bundesweit in einer ungewohnten Situation: Früher stand häufig allein die Frage nach der Bezahlbarkeit von Angebotsausweitungen im Raum.
Das ist sicher auch bei uns nicht unbedeutend.
Die Frage ist erlaubt und muss auch gestellt werden:

Wieviel dürfen und sollen die Angebotsverbesserungen kosten und wie sind die ökologischen Auswirkungen?
Immerhin würde das Maßnahmenbündel, dass der Nahverkehrsplan für die nächsten Jahre als mögliche Verbesserungen vorschlägt, zusätzlich über 10 Millionen Euro jährlich kosten, die von der Stadt zu tragen wären.
Aber neben der Frage: Wer soll das bezahlen? stellt sich neuerdings leider häufig auch die Frage: Wer soll das alles fahren?
Denn wir haben – wie gesagt – nicht nur in Marburg, sondern bundesweit, einen akuten Mangel an Fachkräften.
Wir haben schon im Ausschuss kurz berichtet, dass unsere ständigen Initiativen zur Gewinnung von Fahrpersonal einigen Erfolg gehabt haben und wir unseren Pool wieder verstärken können. Wir sind in enger Abstimmung mit dem Betriebsrat, dem KJC, der Agentur für Arbeit, dem Berufsbildungszentrum und anderen wichtigen Akteuren, um Arbeitsbedingungen zu verbessern, Menschen zu qualifizieren und für den Beruf zu begeistern.
Aber im Wettbewerb mit vielen anderen Arbeitgebern ist es momentan nicht einfach, gute Leute dauerhaft zu gewinnen und zu halten.

Daher müssen wir sowohl mit personellen, als auch finanziellen Ressourcen verantwortlich umgehen.

Insofern sollten wir uns zur weiteren Verbesserung unseres Nahverkehrs bei den Haushaltsberatungen und künftigen Beschlüssen auf zunächst drei gleich wichtige Schwerpunkte konzentrieren:

  1. Ich denke, wir stehen den Standortfirmen am Pharmastandort und denMenschen, die an den Zu- und Abfahrtsstraßen zu den Pharmastandorten wohnen, gewissermaßen im Wort, die Nahverkehrsanbindung der Behring Standorte weiter zu verbessern.

    Das ist einerseits Klimaschutz, weil es Individualverkehr verringern kann, dies ist Schutz der anwohnenden Bevölkerung und dies ist nicht zuletzt Standortförderung.
    Mit der Einrichtung eines 15-minütigen Taktes auch am Nachmittag und der besseren Anbindung von Sterzhausen könnten wir hier viel erreichen. Wir sollten die Außenstadtteile besser als bisher andienen. Insbesondere am Wochenende sollten wir hier in eine bessere Vertaktung einsteigen.
  2. In die Zukunft geschaut und über den Tellerrand geschaut wird sich die Andienung der Außenstadtteile und des ländlichen Raumes, insbesondere was die Randzeiten abends und am Wochenende betrifft, allerdings in den nächsten Jahren höchstwahrscheinlich immer mehr weg von starren Fahrplänen hin zu Angeboten „on demand“ entwickeln.

    Zahlreiche Pilotprojekte vom RMV und von anderen Verkehrsanbietern zeigen, dass mit moderner Technik und Vernetzung die Qualität der Verbindungen erhöht, Fahrzeit eingespart und insgesamt die Andienung verbessert werden kann.
    Wir werden diesen Prozess der Flexibilisierung bei anderen beobachten und unsere Angebote bei den Stadtwerken entsprechend anpassen.
    Wir haben hierfür bei den Stadtwerken eine Stelle geschaffen, damit wir in Zukunft schneller und besser wissen, wie unsere Angebote in den Stadtteilen angenommen werden und wie wir die Bedarfe besser treffen.
    Hierfür können Verbindungen, die auf Bestellung organisiert werden, möglicherweise viel beitragen.
    Das kann ein Baustein dazu sein, verlässliche und bequeme Alternativen zum privaten Individualverkehr zu entwickeln.
  3. Wir sollten auch den Standort des Klinikums und der Universität auf den Lahnbergen in der Anbindung optimieren.
    Auch hier bietet der Nahverkehrsplan gute Vorschläge, die wir im ersten Schritt umsetzen können und sollten.

Meine Damen und Herren,
der Nahverkehrsplan für die nächsten Jahre hat das Potenzial für Verbesserungen der Mobilität in unserer Stadt.
Verbesserungen, von denen alle profitieren können.

Vielen Menschen, die in der Stadt leben, arbeiten, studieren oder einfach nur mobil sein müssen und wollen, können wir mit einem verbesserten Nahverkehr gute Alternativen für ihre Mobilität bieten.
Davon haben alle etwas und an diesem Ziel sollten wir gemeinsam arbeiten und die gemachten Vorschläge in den nächsten 5 Jahren so weit als möglich umsetzen.

Mein Dank gilt dem großen Engagement der Stadtwerke Marburg Consult GmbH und der Planer bei der Erstellung des Nahverkehrsplans.

Vielen Dank!

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