Von Erika Richter, Ärztin, Vorstandsprecherin von Bündnis90/Die GRÜNEN

Die lokalen Rahmenbedingungen vor Ort spielen eine entscheidende Rolle für eine gute pflegerische Versorgung. Den Kommunen kommt eine Schlüsselrolle zu, wenn es um eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und präferenzorientierte Versorgungslandschaft geht. Mit der sozialpolitisch wichtigen und richtigen Einführung der Pflegeversicherung 1995 wurde jedoch auch die Steuerungskompetenz im Pflegesystem auf Bundes- und Landesebene zentralisiert. Es ist zudem ein Pflegemarkt entstanden, der die Versorgung der Betroffenen innerhalb der detaillierten Regulierungen des SGB IX weitgehend durch ein Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage regeln soll.
Immer deutlicher zeigt sich jedoch, dass sich gute Pflege, deren zentraler Bezugspunkt die Würde des Menschen ist, nicht über den Markt organisieren lässt. Die Fachwelt fordert deshalb schon lange eine Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege. Zur Gewährleistung einer bedarfsgerechten und innovativen Infrastrukturentwicklung im Bereich der Langzeitpflege sollten die Kommunen stärker in Planung, Steuerung, Beratung und Entscheidung eingebunden werden. Nur eine in die kommunale Sozialplanung eingebundene Infrastrukturentwicklung ermöglicht kleinräumige, alltagsbezogene und nachhaltige Sorge- und Pflegearrangements. So könnten wohnortnahe Einrichtungen mit flexiblen Leistungsangeboten entwickelt werden, deren Größe und Ausgestaltung sich am örtlichen Bedarf, an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen sowie an den Rahmenbedingungen des Quartiers orientieren. Von deutlich wahrnehmbaren und gut zu erreichenden quartiersnahen Beratungs- und Koordinierungsangeboten würden viele Bürgerinnen und Bürger profitieren. Wichtig ist dafür, dass die kommunale Pflegeplanung bei der Zulassung von Einrichtungen der Pflege verpflichtend berücksichtigt wird.
An die Stelle eines forcierten Preiswettbewerbs und einer zunehmenden Renditeorientierung muss deshalb die vom Grundgesetz und den Länderverfassungen geforderte primäre Orientierung am Gemeinwohl treten. Die Orientierung an Werten des Gemeinwohls, wie Menschenwürde, Gerechtigkeit und Solidarität, Nachhaltigkeit, Transparenz und Partizipation muss für alle Anbieter am Pflegemarkt zum primären Maßstab des Handelns werden. Die konsequente Verfolgung dieser Werte gegenüber allen Berührungsgruppen der Einrichtung, wie Bewohnern, Patienten, Angehörigen, Mitarbeitenden, Zulieferern, Ehrenamtlichen und den Akteuren im Gemeinwesen muss transparent dargelegt und nach einem einheitlichen Maßstab gemessen werden. Nur so können sich Menschen, die ein Pflegeangebot suchen, für einen Anbieter entscheiden, der ihren Wertepräferenzen entspricht. Pflege ist und bleibt eine Dienstleistung, die nicht allein durch Marktnormen gesteuert werden kann, sondern vor allem durch die Anwendung sozialer Normen zu einer gelingenden Interaktion wird. Soziale Normen werden aber durch Werte und nicht durch Preise gesteuert. Deshalb braucht der Pflegemarkt eine starke und transparente Steuerung über Werte.
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