Rede von Hans-Werner Seitz zum Haushalt 2020

Das ist der 4. Haushalt, der uns vom OB und Kämmerer vorgelegt wurde und dessen Verabschiedung von den Fraktionen von SPD, CDU und BfM verantwortet werden wird. Ich hoffe, es ist der vorletzte in dieser Konstellation. Wie in den vergangenen Jahren könnte das eine jährliche Routine sein, wenn wir als Oppositionsfraktion die Mehrheitspolitik des abgelaufenen Jahres und den Haushaltsentwurf des OB kritisieren.

Ja, im Ganzen ist das ein braver Haushalt. In den Bereichen Soziales und Kultur wurde den Wünschen der freien Träger und Initiativen weitgehend nachgekommen. Da hat der OB gelernt. Die Kinderbetreuung bekommt mehr Geld durch zusätzliche Fachkraftstunden, was auch durch die zusätzlichen Gelder von Bund und Land sicherlich erleichtert wurde.

Ansonsten bildet sich die große Gewerbesteuernachzahlung von 2018 durch die deutliche Absenkung der Landeszuweisung ab. Nichts, was beunruhigen muss. Nichts, was wir nicht vorher wussten. Dafür hatten wir den großen Überschuss. Das geplante Defizit kann mit den freien liquiden Rücklagen ausgeglichen werden. Alles nichts besonders.

Würdigen wollen wir explizit die Anstrengungen der Stadt zur Förderung der Gleichstellung und – ganz wichtig – das von allen Fraktionen getragene Programm gegen Hass und Hetze, gegen Rassismus und rechte Gewalt. Da liebe Kolleg*innen und Magistratsmitglieder sind wir uns einig. Da stehen wir zusammen.

Aber ich habe mal in meinen Redebeitrag vom vergangenen Jahr geschaut. Der begann so: „300 Mio. € muss der Bundesfinanzminister für den Bundeshaushalt 2020 als Strafe einstellen, weil die BRD ihre selbst gesteckten Klimaschutzziele für den Zeitraum bis 2020 nicht erreichen wird. Das ist eine erschreckende Bankrotterklärung in Zeiten, wo hunderttausende junge Leute freitags unter dem Motto „Fridays for Future“ in Deutschland auf die Straßen gehen und einen schnellen und radikalen Wandel der Klimaschutzpolitik einfordern. Sie haben erkannt, dass die Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens 1,5 °C bis 2100 nicht erreicht werden kann, wenn die verantwortliche Politik so weiter macht wie bisher. Damit haben sie recht!“

Was hat sich seitdem geändert? Die Bewegung zur Rettung des Klimas ist breiter geworden und umfasst mittlerweile alle Altersstufen. Die Mehrheit der politischen Parteien hat die Wichtigkeit einer konsequenten Klimaschutzpolitik anerkannt – zumindest in ihren Bekundungen. Aber mit der Umsetzung hapert es weiterhin. Der Kohlekompromiss sichert zwar den betroffenen Regionen, Beschäftigten und Unternehmen umfangreiche Hilfen zu, aber der Ausbau der regenerativen Energien wird weiterhin behindert oder blockiert. Der Ausbau der Windkraft ist fast zum Erliegen gekommen, und in den vergangenen Jahren wurden durch die Politik der Bundesregierung mehr als 40.000 Arbeitsplätze in der Windkraftindustrie vernichtet worden, sagt auch die IG Metall. In der Summe heißt das: Mrd. Euro für die Kohle bei gleichzeitigem Ausbremsen der Windkraft. Dazu später.

In der Regierungspolitik hat sich substantiell wenig geändert. Klimapäckchen hin oder her. So werden die selbst gesteckten Ziele nicht erreicht. Mit dem städtischen Haushalt 2020 verhält es sich jedoch anders als in den Vorjahren. Der vorgelegte Haushaltsentwurf ist der Haushalt Nr. 1, nachdem wir im Juni 2019 mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linken, sowie 2 Stimmen der BfM und 3 Stimmen der CDU, den Klimanotstand für die Universitätsstadt Marburg ausgerufen haben. Die FDP/MBL ist dabei raus. Ihr hattet konsequent dagegen gestimmt.

Der Beschlusstext, der unter der Mitarbeit der Klimagruppe und Vermittlung des OB und von den Fraktionen verhandelt und ergänzt wurde, umfasst eine Menge mehr als den Klimanotstand, u.a.:

  • Das Ziel den CO2-Ausstoß der Universitätsstadt bis zum Jahr 2030 auf 0 zu reduzieren,
  • Die Einrichtung eines unabhängigen Klimabeirats aus Fachleuten, der die zu beschließenden Klimaschutzmaßnahmen begleiten und bewerten soll,
  • Den Auftrag an den Magistrat, die bisherigen Beschlüsse und Pläne zum Klimaschutz aufzuarbeiten und in einem Beteiligungsprozess auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich des formulierten Klimaziels zu überprüfen,
  • Ein erster Aktionsplan mit konkreten Schritten zur Reduzierung der CO2- Emissionen sollte bis Ende 2019 erstellt werden und dafür sollten bereits im Haushalt 2020 die finanziellen und personellen Ressourcen bereitstehen.

Davon ist bis zum heutigen Tage wenig bis nichts umgesetzt worden. Der Beschluss vom vergangenen Juni wurde von der Hausmehrheit und dem Magistrat in weiten Teilen nicht umgesetzt. In unseren Augen ist dieser Befund mehr als enttäuschend.

Als politisch Verantwortliche stehen wir alle hier, ob Stadtverordnete oder Magistrat in der Pflicht: In der Pflicht gegenüber den Klimaaktiven, deren Initiative wir aufgenommen haben, in der Pflicht besonders gegenüber der jüngeren Generation, die all das, was Politik hier und woanders verbockt, in ihren Leben ausbaden müssen. Und wir stehen in der Verantwortung, die Klimaerwärmung so in Grenzen zu halten, damit uns und den nachfolgenden Generationen das allerschlimmste erspart bleibt.

Blicken wir in den Entwurf. Da ist zur Umsetzung dieses Beschlusses nichts bis wenig eingestellt. Die simple Verdoppelung des Klimabonus von 1 auf 2 Mio. Euro wird wenig bewirken, wenn diese Förderung wie in den vergangenen Jahren nicht beworben wird. Die großen Wohnungsbau-Unternehmen wie die GWH oder Wohnstadt müssen mehr als bislang aktiv einbezogen werden. Dem Klima ist es an dieser Stelle egal, welches Gebäude für einen zu hohen CO2- Ausstoß verantwortlich ist.

Dagegen zeigen wir Grünen mit unseren Haushaltsanträgen exemplarisch, wohin die Reise gehen muss, wenn wir beim Klimaziel ankommen wollen. Ich nenne einige Stichpunkte:

  1. Mittel zum Ausbau der Busflotte und zu mehr Barriere freien Bushaltestellen
  2. Umsetzung der Radstation am Hauptbahnhof, die die Stadtwerke still und heimlich beerdigt haben.
  3. Radabstellanlagen an Schulen
  4. Radschnellweg
  5. Mittel für die energetische Sanierung der stadteigenen Gebäude. Da liegen die Vorplanungen und die Prioritätsliste schon seit Jahren vor. Und wir fordern ein Förderprogramm für Privathaushalte:
  • Photovoltaik-Anlagen
  • Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, Anlagen zur Nutzung von Erdwärme, innovativer Heizungssysteme mit erneuerbaren Energien
  • Vollsanierungsmaßnahmen
  • Dämmung von Geschossdecken
  • Solarthermie
  • Die Umstellung von Gasversorgung auf Nahwärme
  • 100%-Elektroautos, Schnellladestationen
  • Maßnahmen, die einen Demonstrationscharakter besitzen
  • Sonstige klimaschutzfördernde Maßnahmen und Projekte wie sie im Beteiligungsprozess noch entwickelt werden.

Und wir fordern, dass die Universitätsstadt gemeinsam mit den Stadtwerken die Planungen zum Bau von Windkraftanlagen auf dem Gebiet der Stadt wieder aufnimmt. Ohne Ausbau der Windkraft werden die ambitionierten Klimaziele nicht erreichen können. Das war die Erkenntnis des Hessischen Klimagipfels von 2011. Das Ziel 2% der Landesfläche für die Windkraft, wurde von allen damals im Landtag vertretenen Parteien unterstützt und 2015 mit Ausnahme der FDP bestätigt. 4 Gebiete in Marburg sind im Regionalentwicklungsplan vorgesehen. Die müssen wir angehen. Und unser dringender Appell geht an alle Fraktionen, deren Parteien zumindest auf Landesebene nach wie vor zu den Zielen des Hessischen Energiegipfels stehen:

Steht dazu und legt dem Ausbau der Windkraft hier in Marburg keine Steine in den Weg. Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, der wird im März im Umweltausschuss besprochen. Wir sind gespannt.

Nun wird man uns vorhalten, das sei alles zu teuer. Wir werden gefragt: Wo wollt ihr das denn Geld hernehmen? Und ich sage Ihnen: Die Universitätsstadt hat das Geld zu den notwendigen Investitionen für eine ambitionierte Klimaschutzpolitik.

Die Universitätsstadt Marburg schiebt seit geraumer Zeit liquide Mittel von ca. 90 Mio. Euro vor sich her. Weit mehr als 60 Mio. Euro davon sind freie Mittel, die die Stadt jederzeit verwenden kann. Dazu kommt eine bilanzierte Rücklage von ca. 100 Mio. Euro, für die wir jederzeit günstige Darlehen aufnehmen können.

Wenn wir an dieser Stelle den Klimaschutz in das Zentrum der Marburger Hauspolitik stellen hat das seinen Grund. Das Zeitfenster für wirkungsvolle Maßnahmen gegen die von Menschen gemachte Klimakatastrophe schließt sich bald. Wir wissen, dass die Auswirkungen alle Menschen betreffen werden. Und wir wissen auch: Es wird die Menschen im globalen Süden am meisten treffen. Und wird bei uns diejenigen mit geringen Einkommen mehr treffen als den Mittelstand und die Reichen. Klimaschutz, wie wir ihn verstehen, ist praktizierte Sozialpolitik. Wir müssen nur darauf achten, dass soziale Härten ausgeglichen werden.

Und abschließend: Um uns als Universitätsstadt Marburg zu konsequenten Maßnahmen zu zwingen, haben wir in unserem Haushaltsanträgen einen Kompensationsfonds vorgesehen. Aus diesem Fonds soll die Stadt Kompensationen zahlen, wenn sie es nicht schafft, die eigenen Maßnahmen im Bereich der Verwaltung, der stadteigenen Bauten und Unternehmenstöchter umzusetzen. Geld, das für jede Tonne nicht eingesparter Klimagase in Projekte fließen soll, die nachweislich Treibhausgase einsparen, binden oder speichern. Denn CO2-Einsparung wird in Tonnen gemessen.

Das ist gelebte Klimagerechtigkeit. Dem müssen wir uns stellen! Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!