Eine gute lokale Ökonomie braucht gute Rahmenbedingungen. Marburg wird geprägt von der Philipps-Universität, dem Universitätsklinikum und den pharmazeutischen Unternehmen am Behring-Standort; neben diesen größten Arbeitgebern haben eine Vielzahl anderer Unternehmen und Dienstleister ihren Sitz in Marburg und tragen ebenso wie die zahlreichen Schulen und Aus- und Weiterbildungsstätten zu einem guten Ausbildungs-, Arbeits- und Wirtschaftsstandort bei. Dabei ist die Vielzahl von Vereinen und Initiativen im sozialen, kulturellen und sportlichen Bereich nicht nur wichtig für unsere Lebensqualität, sondern auch überaus wichtiger Beschäftigungssektor.
Für den Erhalt und den Ausbau wirtschaftlicher Unternehmen in Marburg müssen wir in fairem Miteinander die guten Rahmenbedingungen dort, wo es möglich ist, verbessern. Schwachpunkte müssen analysiert und es muss gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.
Universität und Klinikum
Die Philipps-Universität, ihre Studierenden und Beschäftigten sowie nicht zuletzt ihre Bauten prägen unsere Stadt und ihr Erscheinungsbild. Vieles hat sich in den vergangenen Jahren getan: Der neubezogene Campus Firmanei mit der neuen Universitätsbibliothek bis hin zur andauernden Erweiterung des Campus Lahnberge zeugen von der dynamischen und positiven Entwicklung unserer Universität. Diese Entwicklungen wollen wir weiter konstruktiv begleiten und mitgestalten sowie die dafür notwendigen Rahmenbedingungen für eine weiter prosperierende Entwicklung schaffen. In diesem Sinne wollen wir den Weg, der mit dem Masterplan Lahnberge begonnen wurde, weiter an der Seite der Universität beschreiten.
Insbesondere die Infrastrukturentwicklung zur Verbesserung von Forschung und Lehre auf dem Campus Lahnberge ist vor diesem Hintergrund von besonderer Bedeutung. Zudem wollen wir gemeinsam mit dem Land und der Universität eine nachhaltige städtebauliche Entwicklung des Standorts in der Wilhelm-Röpke-Straße vorantreiben, um diesen zentral gelegenen Ort für die Zukunft weiterzuentwickeln.
Das Universitätsklinikum ist und bleibt der zentrale Ort der medizinischen Versorgung in der Universitätsstadt Marburg und einer der größten Arbeitgeber der ganzen Region.
Dieser Bedeutung wollen wir auch in Zukunft Rechnung tragen und im Interesse unserer Stadt gemeinsam mit der Geschäftsleitung und Personalvertretung des Klinikums den universitätsmedizinischen Gesundheitsstandort weiterentwickeln.
Wir setzen uns in diesem Zusammenhang gemeinsam mit dem Betriebsrat und der Geschäftsleitung im Sinne der Beschäftigten und Patient*innen für gute Beschäftigungsbedingungen an unserem Klinikum ein. Wir unterstützen die Beschäftigten in ihrem Engagement dafür. Aktuell beobachten wir große Verunsicherung durch den Weiterverkauf des bereits vor fünfzehn Jahren privatisierten Universitätsklinikums und dessen Folgen für die Personalsituation.
Unsere Bewertung der Entscheidung, das Klinikum zu privatisieren, hat sich nicht verändert. Wir waren und sind gegen die Privatisierung von Krankenhäusern, da diese maßgeblichen Einrichtungen der Daseins- und Gesundheitsvor- und -fürsorge in staatlicher Hand bleiben müssen. Wir hätten das Universitätsklinikum nicht privatisiert. Aber diese Entscheidung lässt sich auf städtischer Ebene nicht korrigieren. Es ist vielmehr die Kompetenz des Bundes, die insgesamt unzureichende Finanzierung des Gesundheitswesens und insbesondere der Krankenhäuser dringend nachzujustieren. Wir wollen auf städtischer Ebene die qualitative Weiterentwicklung unseres Klinikums, des Gesundheits- und medizinischen Forschungsstandorts vorantreiben und insbesondere die notwendigen infrastrukturellen Rahmenbedingungen schaffen.
Ein regelmäßiger Austausch zwischen dem Präsidium der Philipps-Universität sowie der Geschäftsleitung und den Vertreter*innen der Beschäftigten des Universitätsklinikums einerseits und den politischen Gremien der Stadt andererseits ist essentiell für das Gelingen einer nachhaltigen und strategischen Entwicklung. Nur so können die Herausforderungen der Zukunft angepackt und Lösungen gefunden werden.
Pharmastandort
Die Pharmastandorte Görzhausen und Marbach sind von zentraler wirtschaftlicher Bedeutung für unsere Stadt. Ein Großteil der Arbeitsplätze für viele Menschen aus Marburg und dem Umland werden dort zur Verfügung gestellt und auch finanziell sind die Pharmaunternehmen mit ihrem Gewerbesteueraufkommen lebenswichtig für unsere Stadt. Bereits in der Vergangenheit war uns ein guter Austausch zwischen der Stadt und den Unternehmen am Behring-Standort wichtig. Unser Ziel ist es dabei, den Standort zu stärken und gleichzeitig die Bedürfnisse der Menschen, die dort arbeiten, aber auch derjenigen, die im Umkreis leben, im Blick zu haben. Dieser Dialog muss im Sinne der Unternehmen, der Beschäftigten und der Menschen in der Region weitergeführt werden.
Zur Standortstärkung gehört im Rahmen einer guten Infrastruktur auch die gute Erreichbarkeit der Standorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln und dem Rad. Jobtickets sowie ÖPNV- und Radwegeausbau müssen daher hohe Priorität haben.
Darüber hinaus sind bestehende Konzepte zur nachhaltigen Gestaltung der Standortflächen wie auch der Produktionsprozesse (u.a. Energiewende, Wassermanagement) weiterzuführen und konkrete Zukunftsstrategien zu vereinbaren, die allen Beteiligten – Unternehmensleitungen, Beschäftigten und Stadtpolitik bzw. -verwaltung – Transparenz und einen Handlungsrahmen bieten. Die gewerbliche Entwicklung am Görzhäuser Hof sollte daher auch der Zukunftsfähigkeit des Pharmastandortes unter Einbeziehung sozialer und ökologischer Kriterien dienen und entsprechend ausgestaltet werden.
Gewerbeflächenentwicklung
Marburgs Topographie stellt auch die Gewerbeflächenentwicklung vor große Herausforderungen.
Die noch vorhandenen potentiellen Flächen müssen daher sorgfältig sowohl für die Ansiedlung neuer Unternehmen als auch als Ersatzflächen für in Marburg ansässige Betriebe, die aus eigenem Wunsch ihren Standort ändern wollen, verwendet werden. Letzterem kommt in den nächsten Jahren eine sehr hohe Bedeutung zu, wenn die Wohnungsnachfrage anhält und Teile ehemaliger innerstädtischer Gewerbeflächen einer Mischnutzung zugeführt werden.
Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die zunehmende Bedeutung des Klimawandels muss die Reduzierung des Flächenverbrauchs und der -versiegelung im Fokus der künftigen Gewerbeflächenentwicklung stehen. In diesem Sinne wollen wir Dienstleistungsgewerbe und Einzelhandel möglichst im Rahmen von Mischgebieten, gemeinsam mit Wohnnutzungen z.B. durch Aufstockungen ermöglichen. Flächen für produzierendes Gewerbe wollen wir nach Möglichkeit primär in verkehrsgünstiger Lage entlang der B3 und der Main-Weser-Bahn ansiedeln, um Verkehrsbelastungen in Wohngebieten zu vermeiden und eine optimale und attraktive Erreichbarkeit zu gewährleisten. Bei der Schaffung von Gewerbeflächen muss in Zukunft aber auch verstärkt die interkommunale Zusammenarbeit greifen. Gemeinsam mit Marburgs Nachbargemeinden können Gebiete erschlossen werden, die zwar außerhalb Marburgs, aber dennoch stadtnah liegen, gut angebunden sind und deren gewerbliche Entwicklung Marburg und den Nachbarkommunen gleichermaßen Vorteile bringt, Flächenfraß vermeidet und ruinöse Standortkonkurrenzen mindert.
Bei der zukünftigen Ausweisung wie auch im Bestand wollen wir die ökologische Nachhaltigkeit von Gewerbegebieten stärker in den Blick nehmen. Dazu wollen wir ökologische Gewerbegebiete in Marburg entwickeln und Bestandsgebiete ökologisch umgestalten. Dazu wollen wir Anreize schaffen und Kooperationen mit den Unternehmen herstellen.
Einzelhandel
Marburg ist Einkaufsstadt und touristische Attraktion. Die Einkaufsstadt mit der Oberstadt und den dort angesiedelten zahlreichen gastronomischen Betrieben als unverwechselbarem Kleinod und Zentrum bietet einmaliges Flair, das mit einer guten Stadtgestaltung und einem individuellen Angebotsmix erhalten bleiben muss. Investitionen in das Umfeld sind ebenso wichtig wie gemeinsam mit dem Einzelhandel getragene kulturelle und touristische Aktionen, die Publikum anziehen. Hierzu zählen neben Einkaufswochenenden auch attraktive Wochenmärkte, die an ihren Standorten gestärkt und mit klarem Profil regionaler Produktion ausgebaut werden müssen.
Entsprechend der von der Stadt in Auftrag gegebenen Einzelhandelsstudie muss zur Aufrechterhaltung der vorhandenen Innenstadtlagen und der Einzelhandelsstruktur Wert darauf gelegt werden, dass keine Flächen für großflächigen Einzelhandel außerhalb der Innenstadt entstehen. Die jetzige Struktur mit der Innenstadt einerseits und den Gewerbegebieten Cappel und Wehrda einerseits hat sich bewährt und darf nicht geschwächt werden.
Für die Attraktivität der Innenstadt – insbesondere der Oberstadt – fordern wir ein Quartiersmanagement, das schnell gemeinsam mit dem Handel auf Leerstände und andere Fehlentwicklungen reagieren kann.
Finanzen, Steuern und Abgaben
Bund und Land müssen Kommunen angemessen ausstatten. Die Kommunen sind für ihre vielfältigen Aufgaben inhaltlich gut aufgestellt – auch die Stadt Marburg. Für viele Aufgaben fehlt es aber an der notwendigen Finanzierung durch den Bund und das Land. Wir fordern daher, dass Bund und Land die kommunale Ebene so gut ausstatten, dass vor Ort genügend Mittel zur Verfügung stehen. Die momentane Situation führt z.B. dazu, dass ärmere Städte und Gemeinden strukturell nicht genügend in den Erhalt ihrer Infrastruktur (Schulen, Kindergärten, Bäder, Sportanlagen, Straße etc.) investieren können; glücklicherweise ist Marburg hiervon derzeit nicht betroffen.
Die Finanzpolitik der Stadt muss sich verstärkt an den Erfordernissen des Klimaschutzes und des sozialen Zusammenhalts orientieren und Investitionsfähigkeit bei gleichzeitiger finanzieller Nachhaltigkeit gewährleisten. Eine kommunale „schwarze Null“ lehnen wir ab. Eine solche Politik beraubt der Stadt Handlungsspielräume, um auf veränderte ökonomische, ökologische und soziale Rahmenbedingungen reagieren zu können. Wir setzen uns dafür ein, dass städtische Ausgaben und Einnahmen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Wir treten für eine solide Absicherung unserer Aufgaben in den Bereichen Kinderbetreuung und Schule ein; ferner stehen wir dafür, dass die erreichten Standards in den sozialen, kulturellen und sportlichen Bereichen der Stadt aufrecht erhalten und ausgebaut werden und dass die Stadt hierfür auch ausreichend freiwillig Leistungen aufwendet.
Neue Projekte und Initiativen oder die Ausweitung der Zuschüsse an bestehende Initiativen bedürfen aber immer der Prüfung, ob die Stadt ein solches Engagement auch dauerhaft tragen kann. Nur mit einer soliden Finanzpolitik kann die Stadt gemeinsam mit Vereinen und Initiativen unsere erreichten Standards auch verlässlich sichern.
Alternatives Wirtschaften
Solidarische Ökonomie ist für uns ein wichtiger und zu stärkender Aspekt des – auch kommunalen – Wirtschaftens. Solidarökonomische Projekte stellen die Bedürfnisse der Menschen in den Mittelpunkt bzw. versuchen, ökologisch und sozial sinnvoll zu sein und zielen nicht auf das Erwirtschaften maximaler Rendite. Darüber hinaus basieren sie auf der Idee, dass alle Menschen als Teil der Gesellschaft sinnvolle und nützliche Beiträge für den Fortschritt der Menschheit leisten können. In Marburg gibt es eine Vielzahl von Projekten – z.B. als schon lange bestehende Projekte der Beschäftigungsförderung -, die sich das Ziel der Wiederverwendung von Produkten, der Reparatur von Dingen oder dem Tauschgedanken verschrieben haben. Daneben gibt es viele Ansätze wie den Weltladen, RADIKATE, Gartenwerkstatt, Freiwilligenagentur, interkulturelle Gärten, SoLaWi, Repaircafé, Plunderwunder usw., die mit ganz unterschiedlichen Ansätzen das Ziel verfolgen, in Marburg im besten Sinne nachhaltig zu sein und gleichzeitig auch die Ziele einer gerechten und solidarischen Welt im Blick zu haben. Wir wollen solche Ansätze stärken und gezielt auf kommunaler Ebene fördern, da sie nicht nur ein wichtiger Faktor für Beschäftigung und Ausbildung in unserer Kommune sind, sondern auch das Potential haben, die Postulate der Finanz- und Wachstumsökonomie, die der Realität zunehmend weniger standhalten, zu überwinden. Daneben stellt die wachsenden Anklang findende Idee der Gemeinwohlökonomie eine Möglichkeit dar, Kriterien und Kennzahlen zu entwickeln, um den Wert einer Unternehmung für das Allgemeinwohl zu messen. Diesen Ansatz wollen wir unterstützen und auf die lokale Wirtschaft übertragen. Unsere städtischen Betriebe sollten hier eine Vorreiterrolle einnehmen.