Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete

Rede von Madelaine Stahl in der Stadtverordnetenversammlung am 28.02.2025

Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, sehr geehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich eines gleich zu Beginn klarstellen: Die Einführung der Bezahlkarte für Geflüchtete ist nicht einfach eine technische Verwaltungsmaßnahme. Sie ist eine gravierende Einschränkung der finanziellen Selbstbestimmung und ein Schritt in die falsche Richtung. Sie markiert, sie stigmatisiert, sie grenzt aus. Und sie sendet eine fatale Botschaft: „Ihr gehört nicht dazu.“

Während andere Sozialleistungsbeziehende ihre Gelder bar oder auf reguläre Konten erhalten, werden Geflüchtete in ein separates System gezwungen. Das widerspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung und treibt soziale Ausgrenzung voran. Machen wir uns nichts vor: Hier geht es nicht um Effizienz oder Verwaltungsoptimierung. Hier geht es darum, Kontrolle auszuüben, Misstrauen zu säen und Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken. Das lehnen wir von Bündnis 90/Die Grünen ganz klar ab!

Wenn wir über Bargeld reden, muss man feststellen: hierbei handelt es sich um weit mehr als ein bloßes Zahlungsmittel. Es bedeutet Eigenverantwortung, Unabhängigkeit und Teilhabe. Wer an der Supermarktkasse steht, soll nicht mit einem Sonderstatus konfrontiert werden. Wer auf dem Markt einkauft, soll nicht feststellen müssen, dass er oder sie dort nicht zahlen kann. Wer seine Fahrkarte lösen will, darf nicht vor dem Problem stehen, dass die Bezahlkarte hier nicht funktioniert. Und vor allem: Wer hier lebt, soll sich nicht jeden Tag aufs Neue als anders gebrandmarkt fühlen.

Die Bezahlkarte ist ein integrationspolitisches Eigentor. Sie erschwert das Ankommen, statt es zu erleichtern. Und die unausgesprochene Annahme dahinter – nämlich, dass Geflüchtete nicht verantwortungsvoll mit Geld umgehen könnten – ist nicht nur absurd, sondern schlicht respektlos.

Vor diesem Hintergrund verstehen wir die Motivation hinter dem Antrag, der uns heute vorliegt. Ja, Geflüchtete brauchen größtmögliche finanzielle Autonomie. Und ja, die Bezahlkarte ist ein Instrument der Ausgrenzung. Aber wir müssen ehrlich sein: Die Stadt Marburg kann diese Entscheidung nicht im Alleingang rückgängig machen. Die Vorgaben kommen von Bund und Land, das Hessische Ministerium für Soziales und Integration hat klare Anweisungen erlassen.

Heißt das, wir könnten nichts tun? Keineswegs! Was wir tun können – und tun müssen – ist, jeden rechtlichen Spielraum auszuschöpfen. Unsere Vertreterinnen und Vertreter im Magistrat, in den überregionalen Gremien, in den politischen Netzwerken: Sie alle müssen Druck machen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Bezahlkarte so diskriminierungsfrei wie möglich gestaltet wird, dass sie überall einsetzbar ist und dass keine weiteren Einschränkungen hinzukommen.

Und noch etwas: Protest ist nicht nur legitim, sondern notwendig. Die Zivilgesellschaft hat ihre Stimme bereits erhoben: Initiativen, Vereine, engagierte Bürgerinnen und Bürger haben klargemacht, dass sie diese Maßnahme nicht hinnehmen wollen. Wir solidarisieren uns mit ihnen! Denn eines ist sicher: Ohne Druck von unten bewegt sich oben nichts.

Doch so berechtigt die Empörung ist – der vorliegende Antrag ist in seiner jetzigen Form nicht umsetzbar. Er fordert etwas, das auf kommunaler Ebene nicht entschieden werden kann. Ein Beschluss, der ins Leere läuft, hilft niemandem. Statt falsche Hoffnungen zu wecken, sollten wir unsere Energie dorthin lenken, wo wir wirklich etwas bewirken können: Politischer Druck auf Landes- und Bundesebene – gemeinsam mit der Zivilgesellschaft, laut, entschieden und konsequent!

Wir werden nicht akzeptieren, dass Geflüchtete durch eine diskriminierende Bezahlkarte entrechtet werden. Unsere Aufgabe als Stadt ist es, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um soziale Teilhabe zu ermöglichen. Und ich hoffe, Sie alle tun das ebenfalls.

Vielen Dank.